1920 ging Ernst Deutsch unter dem Namen Ernst Dryden nach Wien zurück, knapp zehn Jahre nachdem er der Donaumonarchie den Rücken gekehrt hatte. Von einem Kaiser regiert und vom Malerfürsten Gustav Klimt an der Kunstgewerbeschule unterrichtet suchte er sein Glück in Berlin, wo es zwar auch einen Kaiser gab, was aber moderner, toleranter und dem Neuen gegenüber aufgeschlossener war. Während man in Wien einen salonfähig gewordenen Antisemitismus kultivierte, scherte die Religion in Berlin kaum jemanden und es blühte eine Kultur auf, die den Nährboten für Deutsch's Kreativität bildete. Er fertige Werbeplakate an und fand eine Anstellung bei der 'Eleganten Welt', einer der führenden Modeblätter des deutschen Kaiserreichs. Wäre nicht der erste Weltkrieg und ein kleiner Skandal dazwischen gekommen, Deutsch wäre wohl kaum nach Wien zurückgekehrt und hätte auch seinen Namen nie in jenes nach weiter Welt klingende Dryden geändert.
Während Deutsch an der Front war wurde von Hans Reimann in Berlin ein Buch veröffentlich, dass Deutsch Arbeiten mit denen anderer Grafiker verglich und dabei nicht wenige Parallelen offenlegte. Der Plagiatsvorwurf stand im Raum und war wohl auch nicht ganz unberechtigt. Der Ruf von Ernst Deutsch war angeschlagen und er entschied sich dem Nachkriegs-Berlin den Rücken zu kehren und in seine Heimat zurückzukehren. Dort gab es inzwischen keinen Kaiser mehr und dem Ringstraßencharme stand die schnörkellose Architektur eines Adolf Loos gegenüber. Kaiser Franz Josef soll angeblich nie wieder von der Hofburg aus auf den Michaelerplatz geschaut haben, weil er das von Loos für Leopold Goldmann entworfene Geschäftshaus mit der Hausnummer 3 mit seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen so gar nicht in Einklang zu bringen vermochte. Dryden hingegen konnte dies sehr gut, seine Ansichten von schnörkelloser Eleganz deckten sich mit denen des Architekten.
Eine glückliche Fügung brachte Ernst Dryden mit Gisela Wolff zusammen, der Witwe des Knize Eigentümers Albert Wolff. Ihr fiel die elegante Erscheinung des Grafikers auf und sie fragte, wo er seine Anzüge schneidern lies, als dieser erwiderte, dass er sie selbst entwarf engagierte sie ihn als Designer und Art Director, lange bevor es diesen Beruf überhaupt gab. Sein größter Erfolg war wohl die Einführung des Markenlogos nach englischen Vorbild und die Serie exklusiver Toilettenartikel, die unter dem Namen Knize Ten teils noch heute in unveränderter Form erhältlich sind. Der schwarze Schriftzug auf cremefarbenen Grund ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass Dryden mit offenen Augen durch die Welt ging und die früheren Plagiatsvorwürfe nicht von ungefähr kamen.
Da Ernst Dryden frei für Knize arbeitete hatte er Zeit sich auch um andere Projekte zu kümmern, er arbeitete weiterhin als Grafiker und unterrichtete in seinem Atelier Schüler. Modeillustrator und Werbegrafiker waren Traumberufe zu jener Zeit und Schüler gab es zuhauf. Unter anderem gehörte auch der später durch seinem Film 'Metropolis' berühmt gewordene Fritz Lang zu diesen. Zusammen mit der frisch von Fritz Wolff geschiedenen Helene Wolff, genannt Hello, eröffnete er ein eigenes Modehaus, dessen Name internationalen Flair versprühte und das bald zum Synonym für sportlich funktionale Tages- und Sportmode wurde. Bis zu seinem Tod 1938 war er Helene freundschaftlich und geschäftlich verbunden, zahlreiche Briefe zeugen davon. Und schließlich ist es auch der 1938 nach Großbritannien emigrierten Helene zu verdanken, dass sein Nachlass erhalten geblieben ist.
Nicht lange hielt es den Künstler an der Donau. 1926 zog es ihn nach Paris und indirekt auch zurück nach Berlin. Er übernahm die künstlerische Leitung der bei Ullstein seit 1913 erscheinenden Zeitschrift 'Die Dame', unterrichtete die moderinteressierte deutsche Hausfrau aus dem Herzen der Couture über die neuesten Moden. Die Schnittbögen zum Zuhause nachnähen gab es gleich mit dazu. 'Die Dame' traf den Zeitgeist und war intellektueller und mutiger als ihr französisches Pendant 'Vogue'. Man scheute sich nicht davor Texte zu veröffentlichen, die sich mit Kunst, Philosophie und Politik auseinandersetzten, genauso gab es auf Fotografien gebannte blanke Brüste zu sehen. Diesen waren Kunst, doch gleichzeitig auch klare Verkaufsargumente. Das Magazin war weder an die Bubikopf tragenden Kindfrau noch an die Femme Fatale gerichtet, sondern an die moderne, eigenständige Frauen, die ihr Geld selbst verdienten und ein dynamisches Leben führten.
Dem geschulten Auge Dryden's war es möglich ein Kleid zu verstehen, auch wenn er es nur kurz bei einem Defilee vorüberhuschen sah. Bei den großen Couturehäusern war er für seine Eleganz und weltmännische Erscheinung berühmt, aber auch gefürchtet, weil er eben das Gesehene für sich zu nutzen wusste und nicht nur für seine Arbeit bei 'Die Dame'. Seine Gespür und sein Wissen waren entscheidend für den Erfolg von Hello, dem stetig wachsenden und damit auch einträglichen Wiener Modehaus seiner Freundin. Mit sicherem Gespür gab er den Frauen Kleider zum Leben, für den Alltag. Das Kostüm war eines seiner Favoriten, wohl auch weil es dem Herrenanzug doch sehr nahe steht und Dryden's Perfektionismus hier besonders zu tragen kommen konnte. Jede Tasche, jede Naht, jeder Knopf waren wohl überlegt. Eleganz bestand in seinen Augen darin in jeder Situation richtig angezogen zu sein. Auch seine Mitarbeit beim Pariser Modehaus Jane Regny profitierte von dieser Weltsicht.
Doch Mode allein war dem umtriebigen Weltbürger mit fast dandyesken Manierismen zu wenig. Er sorgte nicht nur dafür, dass die Mode im von ihm betreuten Heft nicht zu kurz kommt, sondern auch dass die Werbung den gleichen ästhetischen Anspruch gerecht wird. Für Zigaretten der Marken Manoli und Waldorf Astoria, Cinzano und natürlich Bugatti schuf er einzigartige Zeugnisse früher Werbeästhetik, die den Spirit der Zeit einzufangen verstehen. Dynamik, Technikbegeisterung und Fortschritt waren Leitbilder des Art Deco, hinzu kommt die Klarheit der Lehren des Bauhaus. Dryden gelang es immer die Essenz einer Marke zu destillieren und klar in seine Bilder zu bannen. Er war kein weltfremder Schöngeist, sondern ein klarer Analytiker, der es verstand immer einen Schritt voraus zu denken und in den Menschen Wünsche zu wecken.
1933 kam es erneut zu einem Bruch in Ernst Dryden's Leben. Schon für erkannte der Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Szeged die Zeichen der Zeit und das sich mit der Machtergreifung Hitlers anbahnenden Unheil in Europa. Er backte seine Koffer und verlies Paris in Richtung New York, nicht wissend was ihn erwarten würde und trotzdem offen für alles Neue. Vielleicht half ihm bei diesem Schritt, dass seine Teilhaberschaft an Hello auch weiterhin ein Einkommen sicherte, von dem sich auch leben liese, wenn sich der Erfolg nur langsam einstellen würde. Doch es kam anders als gedacht, schnell konnte er in den Konsumwelten Amerikas Fuss fassen und zählte bald große New Yorker Modehäuser zu seinen Kunden. Hier war die Konfektion das Nonplusultra. In Massen gefertigte Kleidung von der Stange gab es zwar auch in Europa, doch keine Frau von Welt hätte diese gekauft. Ganz anders in Amerika. Einen Chamäleon gleich passte Dryden sich der Situation an und stellte sich auf die spezifischen Wünsche der Kundinnen ein. Er entwarf an Togen erinnerte Hauskleider, seine geliebten Kostüme und Kamelhaarmäntel, dazu noch alle Arten von Abendstolen und sonstigem unnötig Nötigem.
Nicht einmal ein Jahr dauerte es bis Hollywood anrief und Dryden von der Ostküste an die Westküste übersiedelte. Was genau zu diesem Umstand führte ist nicht ganz geklärt. Vielleicht eilte ihm sein Ruf voraus, vielleicht kannte im von Emigranten nur so wimmelte Filmmekka aber auch jemand Dryden aus Europa und wußte sein Talent für sich zu nutzen. Immerhin verband Dryden eine enge Freundschaft mit dem ebenfalls aus Berlin stammenden und anfangs als Drehbuchautor arbeitenden Billy Wilder. Der erste Film für den er die Kostüme entwarf war 'Remenber Last Night?', dem folgten noch neun weitere und wäre Dryden nicht schon im mit Anfang 50 an einem Herzinfarkt verstorben, wären es wohl auch noch einige mehr geworden.
Viel gelobt ist seine Arbeit für 'Lost Horizon', wo er eine Illusion des sagenumwobenen Shangri-La in Kleidung übersetzte. Sein wichtigster Film war allerdings der Kassenflop 'The Garden of Allah' mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. Es wurde das gerade erst neu erfundene Technicolor eingesetzt, eine Technik die einen neuen Umgang mit Farben und Stoffen erforderte. Natürlich waren auch bei Schwarzweißfilmen die Kleider bunt, doch waren es ganz andere Herausforderungen die es zu bewältigen galt. Hauptaugenmerk lag in erster Linie auf den Kostümen für die Dietrich. Insgesamt 30 verschiedene, vom Reitanzug bis zum Brautkleid, mussten entworfen und angefertigt werden, alle gehalten in den Farben der Wüste und des Himmels. Im Wüstenwind wehenden Seidenchiffone und Abendmäntel die an arabische Umhänge erinnerten machen den Film zu einem Bilderrausch, die Handlung schien schon während der Dreharbeiten nebensächlich zu sein. "Sad, serene and somewhat silly, The Garden of Allah belongs to that dignified class of pictures which reviewers customarily praise for the music and photography.", schrieb das Time Magazine und brachte es wohl treffend auf den Punkt. Bei Youtube kann man in den Film reinschauen und ist schnell gelangweilt, einzig die Allure der Dietrich fesselt minutenweise.
Dryden war besessen von stimmigen Kostümen und entwarf bei späteren Werken auch die Frisuren und manchmal auch das Set. Doch die Arbeit an den Filmen reichte nicht aus, in Wien gab es noch immer Knize und Hello, in Paris Jane Regny und die Kaufhausketten an der Ostküste hat er auch nicht aufgegeben. Im Gegenteil, er wusste alles zu verbinden. Er brachte die von ihm entworfenen Kostüme in hundertfacher Ausführung als Konfektion in die Kaufhäuser und bediente die filmhungrige Kundin mit den Dingen, die sie an der Dietrich oder an Jane Wyatt gerade noch in Kino hat bewundern können. In Wien bei Hello kaufte gleichzeitig die frischgebackene Herzogin von Windsor Skimode ein, alles lief also prächtig. Die Sorge um seine Freundin Helene in Europa trieb ihres Erfolges immer wieder dazu ihr anzuraten Wien zu verlassen. Erst Ende 1938 folgte sie seinem Rat, da war Wien schon annektiert und Dryden tot. Vermutlich galt ihr auch der letzte Anruf, den Ernst Dryden kurz vor seinem Tod tätigen wollte. Man fand ihn im Lehnstuhl mit den Telefonhörer in der Hand.
Der Nachlass, alle Blätter, Entwürfe und Grafiken wurden in Kisten gepackt und in Helenes neue Heimat nach England gebracht. Bis in die 1970-er Jahre lagen sie auf ihrem Dachboden, erst ihre Erben fanden den Schatz und erkannten den Wert des Werkes. Trotzdem gehört Ernst Deutsch, der sich später Ernst Dryden nannte zu den großen Unbekannten, deren Werk wohl leider nur einer kleinen Gruppe interessierter bekannt sein dürfte.
Anthony Lippmann: 'Der Dandy als Designer: Ernst Dryden - Plakatkünstler und Modeschöpfer', C.J.Bucher GmbH, München, 1989