1942 beendete Gilbert Adrian (vorerst) seine Zusammenarbeit mit Hollywood, er war nicht bereit Greta Garbo in eine 'typische' Amerikanerin im Sweatshirt zu 'verwandeln'.
Und wenn einer wußte wie typische, kleinstädtische Amerikanerinnen aussehen, dann er. 1903 wurde Adrian als Adrian Adolph Greenberg in Naugatuck, Connecticut geboren. Früh erkannten die Eltern sein zeichnerisches Talent und förderten es. Es begann mit Zeichenunterricht der ihn schnell langweilte, und auch die Zeit an der New York School of Applied and Fine Arts war nicht wirklich interessant. Doch sein Talent verschaffte ihm ein Ticket an die Pariser Dependance und schon nach vier Monaten hatte er ein Rückreiseticket und ein Engagement für eine Revue am Broadway.
Dann entdeckte ihn Natacha Rambova und er stattete seinen ersten Film aus ('What Price Beauty?', später noch 'The Eagle' und 'The Son of the Sheik', Valentino's letzten Film (1926)); das war der Durchbruch und Adrian wurde innerhalb kurzer Zeit einer der wichtigsten und stilprägenden Kostümdesigner Hollywoods.
Adrian begann in der Hochphase des Stummfilms zu arbeiten. Sein Talent bestand vor allem darin, den Schauspielerinnen Charakter durch die Art ihrer Kleidung zu verleihen und sie durch diese noch im Spiel zu unterstützen. Von vornherein waren die Darstellerinnen auf ihre Rollen festgelegt, es ging weniger um Bandbreite im Rollenfach als es heute manchmal der Fall ist, auch die Wirkung der Kleider im Film wurde als nebensächlich betrachtet. Das ging soweit, dass Schauspielerinnen ihre private Kleidung trugen und so wohl eher sich selbst spielten, als eine Rolle. Erst im Laufe der 1920-er Jahre setzte sich durch die Kostüme für die Stummfilme designen zu lassen.
Nun ist Ton wenig entscheidend, wenn es um Kostüme geht. Viel wichtiger war, dass Film bislang noch ein Schwarzweiß-Medium war und sich die Kostüme diesem Umstand unterzuordnen hatten. Jedes Kleid musste wirken und seine Trägerin perfekt erscheinen lassen. Weiß und Schwarz, aber auch starke Kontraste setzte Adrian ein, um die Stars zu Modeikonen zu machen. Doch eigentlich erscheinen diese Kleider nur durch das Fehlen der Farbe im Film so monochrom, in Wirklichkeit war auch diese Welt bunt und die Damen trugen Kleider meist in ihren Lieblingsfarben; Joan Crawford liebte bläuliches Grün, Jean Harlow Meisgelb und Virginia Bruce Pastelltöne. Und Greta Garbo fühlte sich am wohlsten in Olivetönen, in Lila und Burgunder. Die psychologische Wirkung von Farbe war Adrian also keineswegs unbekannt und er wußte sie sich erfolgreich zu nutze zu machen.
Interessanter aber noch ist, wie er mit Materialien spielte und diese bestmöglich einsetzte. Satin, besonders in Weiß, war das Material schlechthin um Leinwandstars zu Göttinnen zu machen. Jean Harlow wurde darin zur ersten 'Sexbombe'; lange vor Marilyn Monroe, die sich dieses Look's bediente und ebenfalls auf platinblonde Locken und betonte Hüften setzte. Das fließende Material machte jede Bewegung der Harlow zum Hingucker, vor allem auch, weil Adrian die Vorzüge der jeweiligen Körper erkannte und einsetzte.
Schon in den späten 1920-er Jahren brach er mit der vorherrschenden Silhouette des Flapper-Girls und ersetzte sie durch einen figurbetonten Stil. Er rückte die Taille wieder nach oben und lies den Rock sich zum Knie hin verjüngen, um die Hüften herauszustellen. Durch den von Madeleine Vionnet erfundenen Schrägschnitt schmiegte sich der Stoff an den Körper an und schmeichelte der Figur. Das, zusammen mit Satin, ist bis heute das Grundrezept von figurbetonter Abendmode.
Greta Garbo wurde nicht zuletzt auch durch ihn zum Star, ihre Zusammenarbeit begann mit dem Film 'A Woman of Affairs' und endete 1942 mit Garbo's letztem Film 'Die Frau mit den zwei Gesichtern'; insgesamt stattete er 19 ihrer 24 in Hollywood entstandenen Filme aus. Seine Kleider dienten immer dem Zweck die Vorzüge der Trägerin zu untermalen und die Intensität ihres Ausdrucks zu steigern. Nichts lenkte vom Gesicht der Garbo ab, ihre ebenen Züge und die tiefen Augen zogen das Publikum in ihren Bann. Ihre Kostüme in 'Mata Hari' machten sie zu einer exotischen Tänzerin, während sie sich in 'Königin Christine' durchaus maskulin gab und durch besondere Kragenlösungen die Wirkung ihres Gesichts noch unterstrich. Auch für 'Ninotschka' war er verantwortlich, darin verwandelt sich die Garbo von eine russischen Agentin in eine fast sinnliche Französin. Was die Garbo in ihren Filme trug wurde Mode, obwohl sie selbst eine Abneigung gegen jene hegte.
Wichtig war vor allem, den Filmen einen zeitlosen Look zu verleihen. Die Kleider sollten in gewissen Hinsicht die Zeit überdauern, ohne den Film allzu sehr auf ein Jahr festzulegen. Natürlich waren Moden entscheidend, aber die Zyklen in denen sich Mode abspielt sind unwichtig. Und noch heute zeichnen sich gute Filme durch einen zeitlosen Stil aus; 'American Gigolo' oder 'Annie Hall' sind nur zwei Beispiele.
In die Annalen der Modegeschichte ist Adrian nur indirekt eingegangen, die Macht des Films für die Mode wurde lange Zeit verkannt. Dabei dienten Adrians Kostüme als Vorlage vieler Trends und werden heute vielfach auf ihn zurückgeführt. Elsa Schiaparelli (1930) und Marcel Rochas (1931) verbuchen die Erfindung gepolsterter Schulternzwar jeweils für sich, 'erfunden' und auf die Leinwand gebannt wurden sie aber 1928 bzw. 1929 von Adrian für die Garbo in den Filmen 'Wild Orchid' und 'Mata Hari'. Ähnlich verhält es sich mit dem anderen Designs auch, zum Beispiel seidenen Negligé's die dank Adrian sogar die Vogue eroberten, ohne das Adrian selbst Erwähnung fand. Und auch heute noch finden sich zahlreiche Referenzen im Werk vieler bekannter Designer: Die betonte Schulter und die figurbetonte Silhouette von Pippa Middleton's Alexander McQueen Kleid könnte einem der Hollywood-Klassiker entsprungen sein, und die Pferde in Stella McCartney's Kollektion für Chloé FS-2001 gab es bereits 60 Jahre zuvor bei Adrian.
Adrian prägte den Stil des goldenen Zeitalters Hollywoods und der Stars von MGM. 'The Women', 'The Wizzard of Oz' und circa 250 andere Filme entstanden unter seiner Federführung, ohne dass er einen einzigen Oscar dafür bekam. 1941 zog er sich vom Film und von MGM zurück und eröffnete sein eigenes Modeatelier. Die Kundinnen blieben ihm treu und neben einem Couture Salon verkaufte er auch Ready-to-wear. Sein Selbstbewußtsein wurde noch dadurch gestärkt, dass seine für den Film designten Modelle bereits in den 1930-er erfolgreich bei Macy's verkauft wurden. Einer der größten Kassenschlager war ein weißes ausgestelltes Kleid mit Puffärmeln, dass Joan Crawford im Film 'Letty Lynton' (1932) trug, als ihr Robert Montgomery einen Heiratsantrag auf einem Bootsdeck macht. 500.000 Exemplare wurden von diesem Modell verkauft, unglaublich.
Allgemein war der zweite Weltkrieg für amerikanische Modedesigner durchaus geschäftsfördernd. Trotz kleiner Startschwierigkeiten und immenser Kosten zeigte Adrian 1942 zum ersten Mal eine Kollektion bestehend aus 120 Modellen, über die die New York Times schrieb: "There is something 'heroic' about Adrian's styles. The are statuesque. One might call it architectural dressmaking." Die Regularien des Krieges, die den Verbrauch von Stoffen begrenzten, machte sich Adrian zu Nutze und schuf schmale Anzüge für den Tag und elegante Kleider für den Abend, die trotz des Mangels aussergewöhlich waren. Die wichtigsten Retailer orderten seine Entwürfe und die Kunden standen Schlange um seine Kleider kaufen zu können. Die Preise lagen zwischen 49,95 und 395,00 Dollar, was nach heutigen Kursen Preise von 660 und 5.000 Dollar wären. Die Couture Modelle waren weitaus teurer.
Doch 1947, nachdem der Krieg zwei Jahre vobei war, hatte sich die französische Industrie halbwegs erholt und begann sich ihre Führungsposition zurückzuerobern. Dior's New Look war keineswegs umumstritten, schließlich feierte er nicht nur einen masslosen Verbrauch an Stoffen, sondern schnürte die Taille auch wieder in Korsetts. Trotzdem war der kurze Siegeszug der amerikanischen Mode vorerst beendet und Paris war wieder Hauptstadt der Mode.
Adrian's eigenes Leben war weit weniger romantisch. Obwohl er offen mit seiner Homosexualität umging, entschied er sich dennoch die Schauspielerin Janet Gaynor zu heiraten. Sie lebten bis zu seinem Tod im Jahre 1959 zusammen und hatten einen gemeinsamen Sohn.
2008 erschien bei The Monacelli Press das Buch 'ADRIAN – Silver Screen to Costum Label' von Christian Esquevin. Seit gestern bereichert es meinen Bücherschrank und ich kann es nur empfehlen! Darin wird übrigens auch erklärt, wie aus Adrian Adolph Greenberg Gilbert Adrian wurde...
Bilder von hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier; Mitschnitt aus der Dokumentation 'Aus lauter Leidenschaft' (Adrian's Nachname war allerdings Greenberg, nicht wie im Video Rosenberg)