Gerade eben haben wir die Männerschauen hinter uns gebracht, unzählige Kollektionen wurden gezeigt und größtenteils auch schon abgeurteilt. Nie war Kritik an Mode so schnell und auch so weitreichend wie heute. Nie waren Kollektionen schneller in den Himmel gelobt...
Eigentlich hatte ich vor nach den Schauen eine Top- und Flop-Liste zu erstellen, Favoriten vorzustellen und Andere, deren Sachen mir nicht so wirklich zusagten, in den Boden zu stampfen. Doch bei längerer Betrachtung und dem Lesen bereits hier und andernorts veröffentlichter Kritiken habe ich festgestellt, dass es so einfach doch nicht ist. Vor allem neigt man als Kommentator dazu ein Werturteil über einen Kollektion abzugeben, ohne sich aber tiefgreifend damit beschäftigt haben zu können.
Eine schwarze Hose ist eine schwarze Hose, da kann man auf den ersten Blick nicht viel zu schreiben. Ob diese gut oder schlecht ist, kann erst der spätere Träger entscheiden, da das Design unweigerlich hinter die Funktionalität tritt sobald sie sich vom virtuellen Objekt, das in der perfekt inszenierten Realität der Modenschau existiert, in etwas vollkommen Reales verwandelt, etwas das in das Leben eines Menschen eintritt, der sich bewusst für oder gegen einen Kauf entscheidet. Kaum aber wird sie symbolisch aufgeladen sein, zumindest dann nicht wenn sie schwarz und schmal daherkommt und klar ersichtlich hinter die anderen Teile der Kollektion zurückzutreten hat, um diese in den Vordergrund zu stellen. So konnte man es deutlich in der Kollektion von Raf Simons sehen; wichtig waren die Mäntel, die Jacken, die Tops, nicht aber die schwarze, schmale Hose, die zu jedem Outfit gezeigt wurde.
Anders sieht es hingegen mit den kleider- und rockähnlichen Outfits bei Rick Owens aus, hierzu hatte ganz augenscheinlich jeder eine Meinung. Die einen definierten es als das Neue schlechthin und für den weitaus größeren Teil ist es nicht nur persönlich indiskutable Bekleidung, sondern zukünftige Träger werden als Fashion Victims schlimmster Sorte abgeurteilt. Dabei ist Owens nur der radikalste unter denen, die im Rock das männliche Bekleidungsstück der Zukunft sehen. Givenchy zeigt seine abgewandelten Schottenröcke schon seit mehreren Saisons und die Japaner haben sowieso eine völlig unbefangene Haltung diesbezüglich. Und dann ist da ja noch der Rockträger des neuen Jahrzehnts: Marc Jacobs.
In den 1980-ern kam der Trend zum ersten Mal auf, Jean Paul Gaultier wird immer mit Männerröcken in Verbindung gebracht. In den 90-ern kam dann die Love Parade und der Rock wurde bei den Techno-Pilgern genauso Bestandteil der Alltagskleidung, wie bei den Gothic-Fans. Nun taucht er wieder auf, wird sicherlich wieder kein Massentrend und löst noch immer die Selben Reaktionen aus, von Unverständnis bis hin zu tief sitzender Abneigung ist alles dabei.
Gerne angeführt wird, dass es sich um Show-Stopper handelt, die es nie in Produktion schaffen. Doch eigentlich greift genau hier Mode an, schließlich ist Mode nicht das was eh schon alle tragen und sich im kollektiven Verständnis manifestiert hat, sondern das was im ersten Moment verstört und nur von einer kleiner Gruppe als Zeichen des Anderseins aufgenommen wird. Erst nach Jahren schafft es diese Kleidung den Massenmarkt zu erreichen, wenn überhaupt. Und trotzdem ist sie am Ende mehr Mode und Zeitgeist als eine schmale schwarze, vielleicht sehr gut sitzende Hose.
Worüber sich aber keiner Gedanken macht ist ein anderes Phänomen, das in meinen Augen mit den Owens’schen Kreationen einen Höhepunkt erreicht. Im Grunde liefert er nämlich die Bekleidung für den 'modernen' Mann. Was als urbaner Krieger und unantastbarer Mönch verkleidet daherkommt, könnte auch gut das Heimchen am Herd sein, in einer ähnlichen Zwangsjacke gefangen, wie die Frauen am Ende des 19. Jahrhunderts. Nicht nur das Korsett fesselte die Frau, auch die teils überbodenlangen Röcke hinderten sie daran sich frei zu bewegen. Und nun sind Männer endlich soweit 'emanzipiert', dass die sich in diese Fesseln begeben, während die meisten Frauen schon längst die Hosen anhaben. Yves Saint Laurent brachte den Frauen den Tuxedo, Owens liefert nun das passende lange Kleid für den Mann...
Doch es bietet sich auch noch eine dritte Möglichkeit. Wir lösen uns von allen bisherigen Vorstellen von Bekleidung und betrachten alles aus einer neutralen Perspektive heraus. Wir lösen die Vorstellungen von männlich und weiblich auf, und lassen auch die dem jeweiligen Geschlecht bisher zugeteilten Bekleidungen neutral werden. Das Byzanz des 5. bis 10. Jahrhundert könnte Vorbild sein.
Modekritik sollte neu definiert werden, vielleicht in dem Schreiber eine klare Position einnimmt und mitteilt was seine Perspektive ist. Die könnte zum Beispiel die Sicht eines Retailers oder des Endverbrauchers sein, oder aber die von jemanden der Mode als Kunst bewertet und dem es auch möglich ist sie in einem historischen Kontext zu verankern. Oder aber sie kann nach ästhetischen Massstäben stattfinden, vielleicht sogar ausgehend vom eigenen Körper und dem Wissen darum ob man etwas tragen kann oder nicht.
Aus der Sicht des Retailers würde ich die langen Röcke und Kleider als Ladenhüter betrachten, wenn mein Laden nicht ausgerechnet der Inbegriff des Avantgarde-Designs und Anlaufstelle für alle deutschen Owens-Jünger ist. Als Modehistoriker würde ich die owens'sche Kollektion in einem Manifest feiern und in ihr einen ähnlich visionären Geist feiern, wie in André Currèges, Paco Rabanne und Pierre Cardin in den 1960-ern in die Welt brachten. Würde mir das Vergnügen obliegen eine Sammlung von bahnbrechender Mode betreuen zu dürfen, würde ich diese Kollektion zumindest in weiten Teilen ankaufen und als eine Vision neuer Männermode für zukünftige Generationen bewahren wollen. Und als Kunde üben die Kleidern dahingehend einen Reiz aus, als das ich zumindest einen Tag lang in ihnen verbringen wollen würde. Ich würde offen meinen Umwelt und mich selbst beobachten wollen, nur um zu schauen wie es sich anfühlt und darin lebt. Denn Momentan kann ich sie nicht in meine Lebenswelt transportieren, da man weder zwei Stufen auf einmal nehmen kann ohne die Röcke zu raffen, noch irgendwie undramatisch ins Auto steigen kann. Und was gibt es könnte ich über eine schwarze Hose schreiben?
Bilder von Rick Owens, Raf Simons und Givenchy via Style.com