Die Kunst Madeleine Vionnet's lag im raffinierten Zuschneiden der Kleider. Wenige andere DesignerInnen haben die Mode des 20. Jahrhunderts so sehr beeinflusst und in technischer Hinsicht weitergebracht, wie sie. Und wenige DesignerInnen werden von den Kollegen dafür wertgeschätzt und bewundert. Dass Kleider sich an den Körper schmiegen und sanft die Silhouette nachzeichnen ist Vionnet's schrägen Schnitten zu verdanken.
Erfunden hat den Schrägschnitt nicht, sie hat auch immer betont es nicht getan zu haben. Bereits im 19. Jahrhundert wurde diese Technik verwendet, doch waren die Kleidern immer über Korsagen gearbeitet und der schräggeschnittene Stoff hatte vor allem fest über dem Unterbau zu sitzen. Mit der Befreiung des Körpers und einer neuen Vorstellung von Weiblichkeit ging eine Veränderung der Mode einher, die den Vorstellungen von Madeleine Vionnet entgegenkam und die Vionnet mit ihren Kleidern gleichzeitig vorantrieb.
Doch was so einfach aussieht bedarf großer Könnerschaft und Kenntnisse der Anatomie der Menschen, genauso aber auch ein Wissen darum wie sich Stoffe verhalten. Nicht jeder Stoff lässt sich schräg verarbeiten oder fällt links genauso schön wie rechts.
Betty Kirke hat sich mit den Kleidern von Madeleine Vionnet auseinandergesetzt und sie bis in kleinste studiert. Unter anderen hat sie auch die Schnittgeheimnisse entschlüsselt und von der Dreidimensionalität ins Zweidimensionale übertragen. Hat man sich erstmal in den Schnitt hineingelesen, dürfte es nur noch ein mittelgroßes Problem darstellen das Kleid einfach nachzuschneidern; noch dazu weil beim oben zu sehenden Modell der Stoff auch nicht schräg geschnitten ist, sondern durch raffinierte Wickeleffekte erst so fällt.
Dieses und weitere Kleider sind in einem Buch erschienen; insgesamt 30 Vionnet-Modelle aus verschiedenen Epochen wurden entschlüsselt und können nachgenäht werden. Vielleicht gibt es ja geschickte junge Frauen, die Lust auf ein wenig Handarbeit haben.