Die Flucht in den Osten hat es ja manchmal wirklich gegeben, wenn auch eher die andere Richtung die bevorzugte war. Fritz J. Raddatz ging 1950 nach dem Abitur in den Osten und auch den 'Helden' seines Romans Wolkentrinker schickt er auf diese Reise. Bernd ist Fritz, das ist klar, allerdings hielt es Fritz dann doch ein paar Jahre länger in der DDR und ging erst 1958 nach Konflikten mit den Parteibehörden zurück in den Westen.
Wolkentrinker ist also so etwas wie eine Biografie, aber auch eine Reise in ein Zwischenland. Zwei Staaten, die eigentlich aus dem gleichen Holz geschnitzt sind versuchen sich eine neue Ordnung aufzubauen und auf unterschiedliche Art und Weise das Vergangene zu verarbeiten (oder in zugigen Kellerlöchern zu verscharren). Idealisten konnten sich eine neue Heimat schaffen und wurden angelockt durch falsche Freiheitsversprechen.
Doch liest man genau in den Roman hinein war es weniger ein Staatengebilde was verlockend war, als zuerst eine Frau, dann ein Mann und schließlich auch das eigene Ego, das mit bürgerlicher Rhetorik proletarische Aufsteiger platt zu machen vermochte. Bernd zumindest beeindruckte mit Weltläufigkeit, Neugier und Schlagfertigkeit, aber auch mit Westzigaretten. Er entlarvte sich dann selbst und fand nur noch in der Theorie des gewählten, gelobten Landes einen Platz, nicht aber in der gelebten Realität eines seine Überwachungsmechanismen aufbauenden Staates. Nicht die Geschichte überrollte ihn, er warf sich selbst unter ihre Räder und erkannte vor lauter Ehrgeiz und Idealismus die Zeichen der Zeit nicht. Die herannahenden Panzer des 17. Juli 1953 wurden eher am Rande wahrgenommen und wirkten kurz als Störfaktor für das bevorstehenden Examen. Doch während andere für ihr Leben demonstrierten, arbeitete sich Bernd sein eigenes Leben zurecht. Das Ich stand wieder vor dem Wir, worauf die DDR eigentlich aufgebaut werden sollte. Nach dem Erkennen kommt als einzige Alternative der Weggang in Frage und schließlich endet das Buch am Flughafen Tempelhof.
Fritz J. Raddatz gilt zurecht als eine der herausragenden Persönlichkeiten der Bundesrepublik, wenn auch nicht ganz ohne Einschränkungen. Er leitete den Feuilleton der Zeit, stolperte dann aber über Goehte, schrieb einige Bücher und entschied sich schließlich Anfang diesen Jahres für den begleiteten Suizid in der Schweiz. Radikal und selbstbestimmt, frei.
'Wolkentrinker' von Fritz J. Raddatz gibt es nur antiquarisch zu kaufen!