Text und Bild von Paul Peschke
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Leser dieses Blogs daran: Vor einiger Zeit gab es an dieser Stelle eine Wochenend-Ausflugsempfehlung ins Elbsandsteingebirge, zu einem kuriosen Verkehrsmittel, einer außergewöhnlichen Straßenbahnlinie, die nicht in ständigem Stop-and-go durch graue (alternativ mittig-frisch renovierte) Großstadtschluchten oder in kubische Wohnhaussiedlungen fährt, sondern durch eine fast unberührte wildromantische Landschaft, in das enge Kirnitzschtal, von Bad Schandau an der Elbe zum Lichtenhainer Wasserfall in der hinteren Sächsischen Schweiz. Bekanntheit erlangte die Kirnitzschtalbahn, als einer ihrer historischen Züge eine „Nebenrolle“ in der preisgekrönten Verfilmung von „Der Vorleser“ erhielt.
Warum wir heute nach Bad Schandau und in das Kirnitzschtal zurückkehren wollen? Es gibt mehrere Gründe: Neben dieser liebenswert-nostalgischen Straßenbahnlinie gibt es eine weitere technische Attraktion, die Erholungssuchende von Bad Schandau aus in die Natur befördert – diesmal nicht horizontal auf schmalen Schienen, sondern in Form eines filigran-eleganten Stahlgerüsts mit Jugendstil-Verzierungen direkt vertikal nach oben: der Personenaufzug – oder „Fahrstuhl“, wie ihn die Einheimischen nennen – verbindet Bad Schandau seit 1904 mit der Ostrauer Scheibe, einem schönen Hochplateau, etwa 70 Meter über dem Elbtal gelegen.
Hier oben, ruhig, sonnig, mit wunderbarem Ausblick in die Felsenlandschaften der Sächsischen Schweiz sollte um die Jahrhundertwende ein exclusiver Kur- und Ferienort entstehen – mit eigenem Landeplatz und anderem, was damals en vogue war um ein mondäner Ferienort zu werden. Der Aufzug sollte den Anfang bilden, doch es kam mit Ausnahme einiger skandinavisch anmutender Holzvillen nicht zur Realisierung dieser
Visionen eines Schandauer Hoteliers – zum Glück, so dass in diesem dörflichen Stadtteil von Bad Schandau umgeben von Wald, Feldern und Wiesen heute eine entspannend ruhige Atmosphäre herrscht.
Ein weiterer Grund für diesen Beitrag ist eine
Vb-Wetterlage, sprich „fünf b“. Diese spezielle Wettersituation – die Bezeichnung Vb ist meteorologisch korrekt und stammt nicht aus der massenkompatiblen Vorabend-Wettervorhersage – bescherte dem Dreiländereck Sachsen – Polen – Tschechien und damit auch dem Elbsandsteingebirge bekanntermaßen am 7. August 2010 extreme Niederschlagsmengen – „
es schüttete aus Kübeln“ wäre noch untertrieben. Leider so viel, dass sich zunächst Schlamm von den bewaldeten Hängen auf die Straße im Kirnitzschtal ergoss – Wanderer suchten rasch den Heimweg, der Bahnbetrieb wurde vorsichtshalber eingestellt, alle Wagen in die vermeintlich sichere Wagenhalle gefahren. Am Abend dieses Samstags entschloss sich dann der namensgebende Bach zu einem reißenden Strom anzuschwellen – in nur etwa einer Stunde, über die gesamte Talbreite: Wie in einem schlechten Fernseh-Katastrophenfilm wurden unter lautem Rauschen Autos mitgerissen, komplette Campingausrüstungen auf dem Zeltplatz im Tal weggespült, Stützmauern zum Einsturz gebracht, traditionsreiche Ausflugslokale verwüstet. Es drang auch Wasser in das Depot der Kirnitzschtalbahn ein und setzte die über 50 Jahre alten Fahrzeuge unter Wasser – bis auf Achshöhe, einschließlich Motoren. Nun, etwa einen Monat später quietschen die ersten reparierten gelb-weißen Wagen des Linienverkehrs wieder bis zum Beuthenfall – ein Zeichen für Feriengäste, Entscheidungsträger und Anwohner, dass diese touristische Lebensader wichtig ist, sich nicht unterkriegen lässt. Denn wenn die Bahn rollt bringt sie Wanderer auf ihre Wege und nach einem langen erlebnisreichen Tag und Einkehr in den Talwirtschaften wieder zurück – ein uraltes Prinzip.
Allerdings sind noch längst nicht alle Schäden behoben: Die letzten 800 Meter der Strecke werden wohl erst im nächsten Jahr wieder befahren werden können – zu groß war hier die Kraft des Wassers. Für ein beliebtes Ausflugslokal, die Buschmühle, auch Drehort einer kurzen Szene von „Der Vorleser“, wurde eine
Hilfs- und Spendenaktion ins Leben gerufen, Bergsteiger und Wanderer aus der Region rückten hier schon wenige Tage nach dem Unwetter bei der Beseitigung der enormen Schäden mitzuhelfen. Bei der Kirnitzschtalbahn brauchen die historischen Wagen noch Reparaturen: Neben dem „Filmstar“, auf dem Kate Winslet ihren Schaffnerdienst verrichtete, wurde besonders die Nummer 9 durch die schlammigen Wassermassen „innerlich“, also an Motoren und Fahrwerk stark beschädigt, weshalb auch hier eine
Spendenaktion dazu beitragen soll, diesen Wagen wieder zum Rollen zu bringen. Denn während der historische Zug der Kirnitzschtalbahn zwar zu Kinoehren kam – dieser rote Wagen ist mit seinen Einachsdrehgestellen ein weiteres technisches Unikum, das von der Dresdner Lockwitztalbahn nach deren Einstellung hier in die nahe Sächsische Schweiz umgesetzt wurde. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, genauso wie die, dass der Schandauer Aufzug einen großen, etwa
gleichaltrigen Bruder in der „richtigen“ Schweiz hat, welcher wiederum auch zu Kino-Ehren kam – in einem Bond-Klassiker mit – und hier schließt sich der Kreis – geradezu ursächsischer Besetzung der Bösewicht-Hauptrolle. Wer jetzt einen Shirley-Bassey-Song im Ohr hat liegt genau richtig...