Nach Mode kommt Kleidung... Normcore, wenn man es unbedingt etikettiert haben möchte. Mein Normcore sind die immer gleichen Jeans von Nudie, Basicshirts von COS und darüber am liebsten ein Sweatshirt von Acne, an den Füssen Boots von Red Wing und drinnen Socken von Falke. Eine Alltagsuniform, die nicht zu dechiffrieren ist und auch gar keine Botschaft in sich trägt. Keine Meinung, die durch Kleidung transportiert werden soll, sondern erst durch den gefassten Gedanken und das gesprochene Wort nach aussen tritt.
Lebt man mit der 'Mode' muss man sich heute auch auf deren Schizophrenie einlassen können, muss als Mann Jet Set-Versatzstücke und Luxus-Hooligan vermisschen. Das Ich wird eingezäunt und hinter Mauern versteckt, muss herausgeprüllt werden um sich gehör zu verschaffen und läuft doch Gefahr missverstanden zu werden, weil die Fassadenbemalung eine andere, eine vermeintlich deutlichere Sprache spricht. Wenn sich der 'Spornosexuelle', ein weiteres Etikett übrigens, das Shirt vom Leib reißt und die nächste Verkleidung, oder besser transformierte Fassade, zeigt, wird die Maskarade und Unsicherheit erst richtig deutlich.
Normcore ist nicht minimal, doch unbelasteter und ein weißeres Blatt. Weniger ist nicht weniger sondern oft der Versuch Intellekt durch Weglassen und Reduktion zu vermitteln. 'Ich brauche weder Form noch Farbe noch unnötigen Zierrat.' schreien mir diese Looks entgegen. 'Und auf Spass kannst du auch verzichten?' schreie ich zurück. Kleidung soll Spass machen, mir selbst und bestenfalls auch dem, der sich meine Klamotte den ganzen Tag anzuschauen hat. Spass habe ich dann, wenn sich das Übergestreifte nicht mehr bemerkbar macht und die Kleidung zu einem Teil von mir wird und mich sie vergessen lässt, mich nicht einschränkt und in eine Form zwängt. Womit ich wieder bei meinen Basics wäre.
Überdeutlich wird, dass dies ein Männerding ist. Frauen können sich austoben und mit Kleidung, die sogar Mode sein darf, stets neu erfinden ohne sich selbst darin zu verlieren. Es gibt kein weibliches Pendant zum Dandy, zum Gecken oder Stutzer. Mode richtete sich seit ihrer Erfindung in der Mitte des 19. Jahrhunderts in erster Linie an sie, während dem Mann nur die formale Strenge des bürgerlichen Anzugs oder die Zugehörigkeit vermittelnde Uniform angedacht war. Natürlich änderten sich Kragenformen, Jacketlängen oder Hosenweiten, doch die eigentliche Form des Auftritts und die Regeln seine Gesamterscheinung gesellschaftskonform zu halten waren allen bekannt und wurden eingehalten. Bestimmte Altersstufen erforderten bestimmte Kleidung, bestimmte Anlässe eine bestimmte Uniformierung.
An wen adressieren Labels ihre Mode heute?
Wer wird es tragen?
Wenn gerade wieder all die Schauen laufen, die Marken in London, Mailand und Paris, ihre Visionen vom Morgen zeigen, stellt sich die Fragen danach, an wen die Sachen eigentlich adressiert sind. Der deutsche Kunde scheint es nicht zu sein, schließlich hängen in den Flagshipstores dann keine ausgefallenen Laufstegkreationen, sondern teure, und fraglos luxuriöse Stücke, die jede Normcoreseele zum jubeln bringen. Ein schlichter Pullover aus Kaschmir wird am Ende gekauft, doch angelockt wurde der Käufer von den attraktiven Bildern und den als neu propagierten Looks. Lassen wir uns also wieder ein auf die Schauen, auf die Livestreams und die Bilder, und träumen von Looks die wir nicht tragen werden, weil hinter den Normcore-Fassaden unser Individual-Ich sein Zuhause gefunden hat.
Bild: Look von Rory Parnell Mooney via Style.com