2011/10/30

Der Dandy Als Tagungsthema: Tag 2...


Während es ja am Freitag hauptsächlich um Biografien von Dandy's, sowie deren Rezeption ging, spielten heute die Identitäten eine entscheidende Rolle. Fast zum Schluß kam dann auch die Sprache auf einen unserer liebsten Verstörer, David Kurt Karl Roth. Dandysmus ist bei ihm programmatisches Konzept, das sagt ja schon der Name. Ob er wirklich ein Dandy ist oder nur diese Rolle recht gut spielt, dazu später mehr. 
Der Saal war weit weniger voll als gestern, vielleicht noch 30 Leute haben sich eingefunden. Glücklicherweise war der nette Herr wieder da, der heute zum zweiten Mal Gaddafi in die Runde warf, als es darum ging zeitgenössische Dandy's zu benennen. Nun ist aber Herr Gaddaffi seit gut einer Woche tot, was in schon wieder zu einer historischen Figur macht, und ganz allgemein hatte eh keiner Lust auf diese These einzugehen. 
Insgesamt tat man sich schwer damit aktuelle Dandy's zu benennen. Und wenn dann doch das ein oder andere Beispiel fiel, fand sich meist auch jemand im Saal der diese Meinung überhaupt nicht teilte. Ein vorweggenommenes Fazit könnte lauten: der Dandy ist ein literarisches und intellektuelles Konstrukt, dass wie massgeschneidert auf die Figur George Brummell ist. Alle späteren Dandy's hatten zwar die Züge und Eigenschaften eines solchen, waren es aber nie zu 100%. Eine Generalisierung der Figur des Dandy ist somit nicht möglich, auch wenn Dr. Günter Erbe dem wohl widersprechen würde.
Egal welches Thema der Vortrag hatte, alle Redner kamen entweder auf Brummell oder auf Charles Baudelaire zurück. Meist recht schnell auf beide. Der eine hat sich selbst zu dieser Figur stilisiert und gilt deshalb als Urvater aller Dandy's, der andere schuf den intellektuellen Kontext und lebte sich bestmöglich in diese Rolle ein, ohne aber selbst den Vorstellungen des Dandy's vollständig genügen zu können. Wie Gregor Schuhen so treffend formulierte ist der Dandy ein soziokulturelle Konstruktion aus Texten und Textilien.
Gleichzeitig ist er eine Figur, auf der Männlichkeit verhandelt wird. Der Dandy gilt als unmännlich, weil er sich stark über sein äusseres definiert und dem 'unnatürlich' viel Zeit einräumt. Doch gleichzeitig ist er ein "Ideal hegemonialer Männlichkeit in Zeiten der Krise." Doch weder das eine noch das andere ist vollkommen zutreffend. Je nach Biografie ist der Dandy moralische Instanz oder hedonistischer Genießer. Maskarade und Inszenierung stehen Eloquenz und Eleganz gegenüber.
Doch allen Beschreibungen und Analysen gleich ist, dass es sich um ein rein männliches Phänomen handelt. Auch wenn Dr. Isabelle Stauffer in ihrem Vortrag auf den Femme Dandy eingegangen ist, waren ihre Beispiele in meinen Augen immer Frauen, die sich der Männlichkeit bedienten um soziale Anerkennung zu erhalten. Es waren Frauen die nicht in 'Kindern und Küche' ihre Bestimmung sahen, sondern selbstbestimmt leben wollten. Coco Chanel wurde zum Beispiel genannt, und Mathilde de la Mole, einer Figur in Stendhal's 'Rot und Schwarz'. Da es sich bei letzterer um eine fiktive Figur handelt, ist fraglich ob man ein Konstrukt wirklich als Beispiel anführen kann. Ähnlich verhält es sich mit Jean Floressas Des Esseintes in Joris-Karl Huysmans' Dekadenzromans 'À rebours'.
Bei Chanel ist es etwas schwieriger, weil sie zumindest in ihren frühen Jahren darauf bedacht sein musste aus der Not eine Tugend zu machen. Ich setze voraus, dass den meisten Leser die Geschichte von Gabrielle Chanel bekannt ist. Sollte dem nicht so sein, einfach den Film mit Audrey Tautou anschauen. Chanel trug Hosen und Männerkleider, doch nicht aus der politisch orientierten Haltung einer Feministin heraus, sondern weil sie nicht dem Frauenbild des Fin de siecle entsprach (entsprechen wollte) und auch merkte, dass sie durch ihr Aussenseitertum Anerkennung bekam. Ich bin auch der Überzeugung, dass sie, hätte Boy Chapel sie zu seiner Ehefrau gemacht, dies durchaus komfortabel gefunden hätte. Zur Mode kam sie, weil dies eben nicht der Fall war und sie das Potenzial der von ihr getragenen Kleider erkannte. 
Chanel ist also durchaus ein Dandy. Sie stilisierte sich selbst zur modischen Instanz und war geschäftstüchtig genug die geweckten Bedürfnisse durch von ihr angebotene Waren zu befriedigen. Ihre wichtigsten Kreationen (Matrosenpullover und Cardigans während und nach dem ersten Weltkrieg, Kleider aus Jersey, das kleine Schwarze, das Tweedkostüm) sind immer in Opposition zur jeweiligen Zeit entstanden und waren deshalb avantgardistisch; und letztendlich deshalb Dandy, weil sie sich zur ersten und besten Botschafterin des jeweils neuen Looks machte. Und weil sie sich den jeweils vorherrschenden politischen Ansichten unterordnete, auch den Nazi's.
Chanel als Femme Dandy hat damit ihren männlichen Pendants voraus, dass sie geschäftstüchtig war, während die meisten männlichen Dandy's eher das Gegenteil von sich behaupten konnten. Auch die Stilisierung der eigenen Person gelang ihr scheinbar spielend, genauso lag ihr Ironie und Selbstironie nicht fern. War vielleicht Coco Chanel mehr Dandy als viele Männer, die man als solcher bezeichnete?
Bevor ich zum Schluß komme, nochmals kurz zurück zu David aka Dandy Diary. Die von ihm geschaffene Kunstfigur hat durchaus die Züge eines Dandy. Betrachtet man vor allem die frühe Phase der Bloggeridentität kann man feststellen, dass viele wichtige Eigenschaften des Dandy vorhanden sind: Individualität, Genussorientiertheit, (Selbst-)Ironie, Undurchschaubarkeit, scheinbarer Müßiggang. Als jedoch das Blog populärer wurde, verwässerte das die Grundhaltung. Der Autor wurde gewissermassen gefälliger und gab vor allem die ihm eigene Ironie teilweise auf, oder schwächte sie zumindest ab. Während anfangs gekotzt, gekackt und und gepisst wurde, fährt der Autor nun zur Fashion Week nach XY. Provokant könnte vielleicht noch sein, wenn er seine Kleidung im Altenheim bewerten lässt. Er schafft sich in dem Moment eine gesellschaftliche Bühne, sehr dandyhaft. Insgesamt aber wurde aus dem Enfant Terrible ein konformer Autor, der die Regeln des Marktes anerkennt statt immer wieder bewußt Grenzen auszuloten und so seine Individualität zu kultivieren. 
Welches Fazit lässt sich also auf den beiden Tagen ziehen? Prof. Dr. Joachim H. Knoll konstatierte am Ende der Veranstaltung: "Jeder kam mit einem recht klarem Bild von dem was ein Dandy ist in die Tagung, doch statt den Nebel zu lichten, scheint dieser nun noch undurchsichtiger geworden zu sein." Und richtig. Fest steht dass der Dandy ein Konstrukt ist, für das es eben kein Schema F gibt und dessen Individualität soweit geht, dass er sich selbst der Kategorisierung Dandy noch entziehen kann.

Weiterführende Lektüre zum Thema:

- Fernand Hörner 'Der Dandy' (Diven, Hacker, Spekulanten - Sozialfiguren der Gegenwart, Suhrkamp, 2010) und 'Die Behauptung des Dandy: Eine Archäologie' (Transscript, 2008)
- Günter Erbe 'Dandy's - Virtuosen der Lebenskunst' (Böhlau, 2002)
- Melanie Grundmann 'Der Dandy: Wie er wurde, was er war' (Böhlau, 2007)
- Jules Barbey d'Aurevilly 'Über das Dandytum' (Matthes & Seitz Berlin, 2006)
- Ute Fenske / Gregor Schuhen 'Ambivalente Männlichkeit: Maskulinitätsdiskurse aus interdisziplinärer Perspektive' (Verlag Barbara Budrich, Dezember 2011)