2011/04/13

Zeit Der Trauer...



Kann sich jemand an die Szene in 'Vom Winde verweht' erinnern, in der Scarlett wild mit den Füßen wippend eine Ballgesellschaft beobachtet? Schwarz gekleidet in Witwentracht steht sie da und schaut, selbst tanzen darf sie nicht, ihr Mann ist im Krieg gefallen. Um 1860 bedeutete der Verlust eines so nahen Verwandten, dass ein Jahr lang Trauer zu tragen sei. Darauf folgten nochmals mehrere Monate Halbtrauer und schließlich wurde nochmals fast ebenso lange abgetrauert. Wenn man also eine große Familie hatte, war man regelmässig in Schwarz gekleidet.
Für die Zeit des Trauerns gab es einen komplizierten Regelkatalog, aus heutiger Sicht kaum zu durchschauen. Für die Trauernden war somit nicht nur der schmerzliche Verlust eines nahen Verwandten ein tragischer Einschnitt, sondern es folgte auch noch eine Zeit gesellschaftlicher Isolation. Es war nicht möglich am Leben teilzuhaben, stattdessen folgte eine einsame Zeit in der sich ganz dem Schmerz hingegeben werden sollte.
Das Trauern, bzw. die Sichtbarmachung von Trauer und die dafür geltenden Regeln bezogen sich fast ausschließlich auf die Kleidung der Frau. Die Männerkleidung seit dem frühen 19. Jahrhundert bestand aus meist gedeckten Farben oder Schwarz für das gehobene Bürgertum und Teile des Adels. Oder aber aus Uniformen. Bei letzteren wurde während der Trauerzeit eine schwarze Armbinde getragen, wenn überhaupt. Die Alltagskleidung von bürgerlicher Herren änderte sich hingegen kaum durch einen Trauerfall.
Für Frauen hingegen änderte sich die komplette Garderobe bis hin zur Unterwäsche. Sie waren, sofern sie nicht zur Unterschicht gehörten, eh schon zum Müßiggang gezwungen. Der Tod eines nahen, wie auch eines fernen Verwandten nötigten sie nun die Tage in Schwermut zu verbringen. Alles kam zum Erliegen, vor allem aber die Mode. Schwarz war damals noch eine symbolische Farbe. Trug eine Frau des Bürgertums oder Adels ein schwarzes Kleid, so war allem umstehenden bewußt, dass man sich auf Distanz zu halten hatte. Die Verhüllung des Gesicht durch einen schwarze Schleier tat ihr übriges dazu.
Frauen aus unteren Schichten, zu mal wenn sie eine Anstellung hatten, hätten schlichtweg keine Zeit derart lethargisch zu Trauern, sie mussten schließllich weiterhin zum Lebensunterhalt beitragen. Vor allem dann, wenn es sich um den Tod des Ehenmannes oder Vaters handelte. Die Tages- und Sonntagskleidung war eh zumeist schwarz, somit wurde nur auf den wenigen vorhandenen Schmuck verzichtet.



Wirklich zelebriert wurde der Trauerkult in England. Im Jahre 1861 starb der Prinz-Gemahl und Ehemann von Königin Victoria Albert von Sachsen-Coburg und Gotha. Ungewöhnlich für diese Zeit entwickelte sich diese arrangierte Heirat zu einer wirklichen Liebesehe, für Victoria brach mit Alberts Tod die Welt zusammen. In einem Brief an ihren Onkel schrieb sie: 'Mein Leben als glücklicher Mensch ist für mich zu Ende! Die Welt ist für mich zu Ende!" 40 Jahre lang sollte Victoria nun Trauer tragen, bis zu ihrem eigenen Tod 1901. Und nicht nur sie, sondern auch ihr ganzer Hof.
Farbige und glänzende Stoffe waren ebenso wenig erlaubt wie alle Arten von Schmuck. Da es aber ein menschliches Grundbedürfnis ist sich zu schmücken und an einem Königshof erst recht, kamen Materialien in Mode. Jet und Vulcanit waren dezent genug, aber trotzdem schmückend.
Nun könnte man meinen, dass der Putzsucht durch das tragen schwarzer Kleidung und das vermeintliche Weglassen alles Schmückenden Einhalt geboten wurde. Doch selbst hier fanden sich Wege die Regeln zu unterwandern. Schaut man sich die Pretiosen aus Jet genauer an, stellt man fest, dass sie an Aufwand und Schönheit anderem Schmuck in nichts nachstehen. Auch die in den verschiedenen Kostümsammlungen haben Beispiele für kaum als dezent zu beschreibende Trauergarderoben. So findet sich zum Beispiel dafür in der Sammlung des Kyoto Fashion Institut ein Kleid von 1875. Reich bestickt mit Perlen und der für die Zeit üblichen Tournüre versehen, zeigt es wie aufwendig diese Kleider waren. Bereits 1709 kritisierte Abraham a Santa Clara die trotz der Trauer anhaltende Putzsucht: "O Eitelkeit der Trauerposten / was sollen doch die großen Kosten /..."



Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam schwarz in Mode, plötzlich trugen auch wohlhabende Frauen die Farbe, die bisher nur für Dienstboten und eben zur Trauer als schicklich galt. Nur der dazu getragene Schmuck lies noch erkennen welcher Schicht eine Dame angehörte. Das kleine schwarze Kleid von Chanel dürfte wohl sein übriges dazu beigetragen haben. Ebenso das Spiel mit den Zeichen des Schmerzes und der Trauer als modisches Accessoire.
Ende der 1980-er Jahre trug meine Oma Schwarz als mein Opa gestorben war, und sicherlich auch schon wenige Jahre zuvor einmal. Ich glaube auch mich daran erinnern zu können, dass sie es ein Jahr lang machte. Vielleicht war das die letzte Generation die ihre Trauer so zur Schau stellte. Heutzutage tragen die Leute aus modischen Gründen Schwarz, aber nicht mehr um zu trauern. Es gibt natürlich auch regionale Unterschiede.



Was sagt das über unsere Zeit und unseren Umgang mit dem Tot aus? Sichtbar Trauer zu tragen bedeutet, dass man sein Innerstes nach Außen trägt und sich Gefühle im Äußeren, also der Kleidung widerspiegeln. Trauer zu tragen bedeutet auch, dass wir uns der Endlichkeit unseres Daseins bewußt sind und den Tod als Teil des Lebens anerkennen.
Dieser Symbolik beraubt sind wir nicht mehr in der Lage unserer Umwelt mitzuteilen, dass wir den Verlust eines Verwandten oder Freundes beklagen. Und wir können Trauer an unseren Mitmenschen nicht erkennen, haben also keine Möglichkeit Mitgefühl oder Anteilnahme an den elementarsten Bestandteilen des Lebens zu zeigen, wenn sie diese nicht verbal mitteilen.
Dieser Post soll nicht dazu dienen Schwarz wieder seine Symbolkraft zurückzugeben, solche Entwicklungen sind Bestandteil der Mode und lassen sich schwer beeinflussen. Stattdessen wollte generell über die Sichtbarkeit von Trauer schreiben, das Thema geisterte schon seit Wochen durch meinen Kopf.
Eine kleine Anekdote habe ich zu diesem Thema noch: Das Dorf aus dem ich stamme liegt an der böhmischen Grenze. Früher, so erzählte man mir, 'buchte' man, wenn jemand im Dorf gestorben war, die Wimmerweible aus dem böhmischen Nachbarort. Diese Frauen sorgten bei Begräbnissen dafür, dass ein weinerliches Wimmern die Zeremonie untermalte und die anderen Gäste mit zu Tränen rührte. Natürlich wurden die dafür auch bezahlt.

Bild 1: Friedhof in Budapest
Bild 2: Queen Victoria und drei ihrer Töchter in Trauerkleidung
Bild 3: YSL HW-2010, via Style.com
Bild 4: Haider Ackermann HW-2011, via Style.com

Also Inspiration diente eine Hausarbeit von Hans-Georg Krampe über Trauerkleidung. Diese wurde mir freundlicherweise von Dr. Gundula Wolter zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!