Vergangene Woche stellte ich das kürzlich erschienene Buch 'Schnittstellen – Mode und Fotografie im Dialog' vor. Einer der Texte darin beschäftigt sich mit der Arbeit von Scott Schuman und seinem Blog 'The Sartorialist'.
Dr. Gesa Kessemeier, Modehistorikerin und Autorin des Textes, habe ich im Mai beim der Vortragsreihe 'Räume der Mode' kennengelernt. Sie war nun so freundlich mir Fragen zu ihrem Text, zu Blogs allgemein und zum Sartorialist im Speziellen zu beantworten. Vielen Dank für die dafür aufgebrachte Zeit.
Lesen Sie selbst Blogs? Und haben diese Relevanz für Sie persönlich oder auch für Ihre Arbeit?
Gesa Kessemeier: Ich schaue eigentlich nur regelmäßig den Sartorialisten an, da ich die Fotografien dort einfach wunderschön finde – und auch inspirierend. Ich habe mir, nach oder besser gesagt während meiner intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Sartorialisten 2008 spontan wunderbar weiche, handgemachte, rote Ankleboots gekauft, die ich ohne den Einfluss der Bilder von Scott Schuman wohl nicht gekauft hätte. Bilder kommen von Bildern. Und Moden wie auch der eigene Kleidungsstil kommen natürlich auch vom Betrachten von Bilder und dem Kombinieren von Gesehenem zu etwas Neuem. Mir gefällt die Eleganz in Schumanns Aufnahmen. Aber auch, dass er zeigt, dass Stil viel mit Persönlichkeit zu tun hat. Und ich freue mich immer, Kleidungsstücke zu entdecken, die ich auch besitze: So mein weißes, leichtes Lieblingssommerkleid oder eine schwarze, leicht glänzende, knielange Hose, getragen von Frauen auf den Straßen New Yorks. Die Modewelt ist heute wirklich global. Das Ansehen der Bilder wie ein virtuelles Flanieren im Netz.
Mit anderen Blogs habe ich mich eigentlich nur während meiner Recherchen beschäftigt. Sie sind mir zum Großteil zu banal. Mich interessieren nur hochwertige Modefotoblogs oder informative Seiten mit Hintergrundberichten.
Allerdings spielt das Internet bei wissenschaftlichen Recherchen mittlerweile eine ausgesprochen wichtige Rolle! Es erleichtert und beschleunigt die Arbeit enorm. Die Zukunft gehört auf jeden Fall der Digitalisierung von Informationen.
Modeblogger lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Zum einen gibt es die die Streetstyles ablichten und diese kommentiert oder unkommentiert posten (The Sartorialist, Jak and Jil, Style Clicker etc.). Zum anderen gibt es Blogs, die Modethemen und Trends besprechen, und so fast wie Magazine agieren (Les Mads, Modepilot etc.). Wie würden Sie die Rolle dieser Arten des Bloggens im Modegeschehen einordnen? Und welche Rolle spielen Blogs deren Autoren sich vornehmlich selbst in den Mittelpunkt stellen (Sea of Shoes)?
GK: Mir persönlich, als Modefotografiebegeisterte gefallen Modefotoblog mehr als Blogs mit Magazincharakter. Sie beeinflussen mich auch mehr, allerdings wie oben beschrieben, eher auf eine indirekte Weise. Blogs wie Les Mads (aber auch Garance Doré, obschon auch sie wunderschöne Bilder und Zeichnungen macht) werden ja von großen Medienhäusern finanziert und werben auch indirekt für die Magazine und viele Produkte. Vielleicht gehöre ich aber auch einfach nicht zur Zielgruppe: Ich mag es eher sachlich. Mich interessiert es nicht, einer virtuellen Community anzugehören. Ich finde die eigene, reale Umwelt viel spannender.
Modepilot wird von professionellen Modejournalistinnen (Instyle) betrieben. Mich stört auch dort der doch sehr deutlich kommerzielle Charakter: Informationen werden, wie in den Modezeitschriften, stets mit Kaufhinweisen und Preisangaben vermischt.
Auch Zeitschriften könnten sich, wenn es nach mir ginge, nur mit Mode, Fotografie, Designern und Hintergrundberichten beschäftigen. Ohne Preisangaben. Ich freu mich immer am Meisten über die Ausgaben mit Modesonderheften, vielen, vielen Modefotografien und ungewöhnlichen Portraits.
Wann wurden Sie zum ersten Mal auf die Arbeiten von The Sartorialist aufmerksam und was war der Auslöser ihm einen Text zu widmen?
GK: Ich habe mir Scott Schumans Seite zum ersten Mal Ende 2007/Anfang 2008, nachdem ich einen Artikel über ihn in einer Zeitschrift gelesen hatte, angesehen und war gleich begeistert von seiner Art, Leute auf der Straße zu fotografieren, sie als lebensechte Stilikonen abzubilden. Ich liebe seine Fotografien, die in moderner Form an die Aufnahmen August Sanders aus den 1920 Jahren erinnern. Menschen im urbanen Raum zu zeigen, sie zum leuchtenden Mittelpunkt seiner Bilder zu machen und sie dabei stets elegant und würdevoll aussehen zu lassen, beherrscht Scott Schuman meisterhaft.
Die Tagung in Hamburg war dann der Auslöser, mich auch wissenschaftlich mit Schuman und dem Sartorialisten zu beschäftigen. In der schnellen auf die direkte Gegenwart setzenden, und damit doch recht geschichtslosen, Blogwelt fand ich, als Historikerin, es spannend, der Entwicklung des Sartorialisten nachzugehen, nach seinem Werdegang und den Gründen seines Erfolgs zu fragen und überhaupt Überlegungen dazu anzustellen, inwieweit Blogs die Modewelt, die Modefotografie und vor allem die Durchsetzung neuer Moden verändert haben.
Sie haben an Hand genauer Daten eine Entwicklung in seiner Arbeit dargestellt und gleichzeitig beschrieben warum so ein Erfolg heute nur noch schwer möglich wäre. Unter anderem hängt sein Erfolg und seine Entwicklung auch mit durch Aufträge finanzierten Reisen zusammen. War es neben seinem Talent auch sein Glück quasi der bis dahin 'Einzige' in diesem Metier zu sein?
GK: Das mit „dem Erfolg, der heute so nur noch schwer möglich wäre“, haben Sie aus dem Text gelesen. Geschrieben habe ich es nicht... Leute wie Bryan Boy oder Tavi Gevinson, zeigen, dass schnelle Popularität immer noch möglich ist. Allerdings glaube ich, dass die Beiden und viele andere eher auch „Modeerscheinungen“ sind.
Ich denke, wenn jemand eine neue, ungewöhnliche Art und Weise findet, Dinge zu betrachten und dies auch hochwertig umsetzen kann, wird er auch Erfolg haben. Wichtig an Scott Schumans Erfolg war und ist seine zunächst ungewöhnlich erscheinende Idee, sein hundertprozentiger Einsatz, der „Jagdeifer“, seine Liebe zur Mode und zur Fotografie, die Eleganz der Umsetzung, die Liebe zum Detail, zum Ungewöhnlichen aber immer Stilvollen.
In Ihrem Text belegen Sie, dass The Sartorialist unter anderem Designern als Inspiration dient. Vielleicht deshalb weil sie 'wirkliche' Menschen abbilden. Aber stellt The Sartorialist wirklich normale Menschen dar oder sind an den Orten an denen er sich bewegt nicht ohnehin mehr 'besser' oder eigenwilliger/kreativer angezogene Menschen versammelt?
GK: Natürlich zeigt Schuman vorwiegend Menschen aus der Modewelt. Und wer die Seite regelmäßig ansieht, erkennt auch Prominente, Vogue-Mitarbeiterinnen oder Designer wieder, wie Giovanna Battaglia oder Carine Roitfeld, die er regelmäßig portraitiert. Daneben, wenn man genau hinschaut, gibt es aber auch immer wieder Fotografien von eigenwilligen Persönlichkeiten. Alten Männern, die hochwertige Schneideranzüge tragen, älteren Frauen, noch älteren Damen in Leopardenmänteln, bei denen sich nicht einmal Scott Schuman getraut hat, sie anzusprechen. Und gerade die finden sich an den Inspirationswänden der Designer wieder. Getreu dem Motto: “Old Man Style is hard to beat. Gentlemen of a certain generation learned how to wear their clothes not let their clothes wear them.“ Zu ergänzen wären natürlich die alten Damen, die ebenso über die Jahre ihren eigenen Stil gefunden haben...
In den letzten drei oder vier Jahren hat sich die Männermode wieder eher klassischen Elementen bedient. Vor fünf Jahren fand man z.B. klassische Cardigans nur in den HAKA Abteilungen, kaum aber bei H&M und Co. Kann seine Darstellung von klassisch gekleideten Männern zu Trends beitragen?
GK: Ja, ich bin mir sicher, dass seine Fotografien die Herrenmode beeinflusst haben. Da es traditionell wenig Magazine oder Foren für Herrenmode gibt, hat er als Sartorialist, was ja übersetzt „Liebhaber perfekt geschneiderter Herrenmode“ bedeutet, erfolgreich eine Lücke gefüllt und Trends gesetzt.
Phantastisch sind auch die Fotografien, die Menschen zeigen, wie sie in New York ankommen, und dann ein Jahr später und vor allem auch nachdem sie regelmäßig auf Schumans Blog verfolgt haben, wen und was er noch fotografiert hat, wie sie sich dann präsentieren. Fast alle sind weitaus eleganter und eigenwilliger gekleidet.
Hat seine Arbeit den gleichen Einfluss auf die Damenmode wie auf die Herrenmode? Ist die Darstellung eine Giovanna Battaglia genauso Trends setzend wie zum Beispiel ein Bild von einem älteren Herren in Mailand? Oder wird nur kurz der Verkauf eines Designerteils angekurbelt?
GK: Ich denke Scott Schuman prägt die Damen- wie die Herrenmode. Blogs haben das gesamte Gefüge der Modewelt verändert. Ihr Erfolg zeigt, wie radikal sich insbesondere die Entstehungs- und Durchsetzungsprozesse von Moden in den letzten Jahrzehnten verändert haben: Nicht mehr die Haute Couture bestimmt das Geschehen, sondern die – von Modebloggern weltweit dokumentierte - Mode auf der Straße. Sie ist Vorbild für Ton angebende Designer. Brüche, Authentizität und Individualität sind gefragt, nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren die Handschrift eines einzigen Couturiers. Neu ist auch, dass Blogs wie The Sartorialist durch die weltweite Verbreitung durch das Internet unabhängig von Schauen und Zeitschriften das Potential haben, Trends zu schaffen, oft zeigen sie Looks – wie eine Studie des Deutschen Modeinstituts gezeigt hat - schon bevor man sie auf internationalen Laufstegen sieht.
Blogger werden immer gezielter ausgesucht um Werbung zu gestalten oder um als Model zu fungieren. Sind Blogger als Leitbilder mit Schauspielern oder Sängern gleichzusetzen? Warum ist dies der Fall?
GK: Wie hat Alfons Kaiser von der FAZ so schön gesagt: „Modeleute sind dauernd auf der Suche nach dem geglückten Moment, der erfüllten Gegenwart, in der Stil, Zeit, Person zusammenkommen. Die Blogger können dieser Sehnsucht nach der Millisekunde, die keine Vergangenheit und keine Zukunft kennt, näher kommen als andere Medienleute.“
Blogs sind Ausdruck unserer Zeit, eine Zeiterscheinung des Neuen Jahrtausends, sie werden sich überleben und es wird neue Formen der Medien geben, die wir jetzt nur noch nicht kennen, und neue Stars und Sternchen hervorbringen.
Ich glaube jedoch, dass Schuman sich mit seinen Bildern als ernsthafter Fotograf etabliert hat. Und es wird spannend sein, wie sich sein Stil auf die „traditionelle Modefotografie“ auswirkt und wie er seinen Modeblog weiterentwickeln wird.
Bei Les Mads wurden kürzlich sieben Blogger gefragt wohin sich die Blogs im Allgemeinen entwickeln werden. Wohin geht es ihrer Meinung nach?
GK: Das wird die Zukunft zeigen! Und Scott Schuman wird bestimmt dabei sein.