2010/03/10

Hinter Den Bergen...

text und bilder von paul peschke


Bayrische Alpen: Lüftlmalerei an alten und neuen Häusern, Hotelkomplexe, welche die typische Gebirgsdorfarchitektur aufzunehmen versuchen - sommers mit geraniengeschwängerten Balkons. An den Talstationen der Bergbahnen Großparkplätze für die Downhill-Fraktion der Wintersportler. Irgendwo zwischen Garmisch und Mittenwald, in einem typischen kleinen Bergdorf zweigt eine Mautstraße ab – und entführt einen in ein ganz besonderes Hochtal, das so anders ist, als dieses eingangs, vielleicht etwas überzeichnete Bild ...
Folgen wir der schmalen Straße einige Kurven und Höhenmeter aufwärts: Plötzlich wird oben ganz kurz zwischen den schlanken Nadelbäumen ein moderner, fast puristisch-transparent wirkender Bau sichtbar – große Fensterfronten, Holz. Man fährt weiter. Eine Kehre weiter die architektonische Überraschung: Ein Schloss! Nein, eher ein englisches Herrenhaus – wo bin ich? Eine Zeitreise? Sieht irgendwie aus wie diese alten Landsitze aus den Rosamunde-Pilcher-Filmen ...


Auf einer kleinen Hochebene, eingerahmt von Karwendelgebirge und Zugspitzmassiv liegt das „Schloss Kranzbach“, wie früher die Dorfbewohner unten aus dem Tal sagten. Es ist der steingewordene Traum von Mary Isabel Portman, einer, sagen wir, etwas unkonventionellen Tochter einer wohlhabenden und angesehenen Londoner Aristokratenfamilie, 1877 geboren in London.
Wohl vor allem die Musik, Mary Portman spielte selbst hervorragend Geige, brachte sie nach Deutschland, nach Leipzig, in Künstlerkreise. Und weil die Alpen als Reiseziel seinerzeit als extravagant und chic galten verschlug es die eigensinnige Dame etwa um 1913 auch einmal auf die so genannte Kranzbachwiese, wo sie sogleich dem Charme dieses Hochtals erlag.
Künstler und Freunde wollte sie hier in dieser bis heute im Grunde unberührten Natur (keine Seilbahn etc.) um sich haben, beauftragte seinerzeit ein renommiertes englisches Architekturbüro mit dem Bau: ein aufwändig mit den Fertigkeiten traditioneller Gewerke ausgestattetes „Country House“ nebst einem kleinen Konzertsaal sollte es werden.
Doch es kam alles anders: Erster Weltkrieg – der Innenausbau wurde wohl unterbrochen, Nutzung als Wohnhaus, Schullandheim, Gästehaus zu den Olympischen Spielen Garmisch-Partenkirchen 1936, Kinderkurheim. Mary Isabel Portman sah den stattlichen aber dabei keinesfalls protzigen Bau mit den Treppengiebeln und den unverputzten Bruchsteinwänden wahrscheinlich nie – 1931 verstarb sie im schweizerischen Montreux.



Anfang der 90er Jahre begann die Karriere des „Schloss’ Kranzbach“ als Hotel, wohl aber nur mit mäßigem Erfolg. 2007 dann ein Neubeginn. Und hier schließen sich mehrere Kreise:
Ilse Crawford, „Londons gefragteste Interieur-Designerin“ (schreibt die ELLE DECORATION) nimmt sich der fast 100 Jahre alten Hülle ihrer englischen Architekten-Kollegen von damals an – und stattet den nunmehr „Mary-Portman-House“ genannten Bau liebevoll bis ins Detail (Drehknopf-Lichtschalter!), very british und dabei ungemein gemütlich aus – mit hochwertigen Materialien und einzigartigen Möbelstücken, Lampen und Accessoires. Salons mit den originalen Kaminen, Hochflorteppichen und Sixties-Drehstühlen laden nicht nur bei Schneetreiben zum Verweilen ein. Alles ist wunderbar farblich abgestimmt und in einem unglaublich elegant-legeren Stilmix, den man kaum für möglich halten mag.
Und an den Südhang, von der Vorfahrt zu diesem neuen Design-Erlebnis in alter Hülle kaum erkennbar, schmiegt sich ein gelungener Neubau an: nahtlos und terrassenförmig gehen die Wiesen in die Dächer des „Gartenflügels“ über, der über einen verglasten Steg mit dem so genannten Badehaus verbunden ist, das man wie eingangs erwähnt kurz zwischen den Tannenwipfeln unten von der Straße aus erspähen kann. Diese gekonnt zurückhaltend platzierten Anbauten ergänzen das solitär stehende „Mary Portman House“ um helle luftige Zimmer mit Lärchenholz aus der Region als Wandverkleidung sowie um einen großzügigen Wellnessbereich, der mit seinen drei Kaminen die Gemütlichkeit der Crawford’schen Salons mit schlicht-moderner Formensprache aufgreift.
Dabei ist es dem österreichischen Architektenteam gelungen, hier hinter den Bergen eine zur eindrucksvollen Lage der „Kranzbachwiese“ wunderbar passende leichte Atmosphäre zu schaffen ohne sich dabei an die bäuerlich-alpine Architektur anbiedern zu wollen – wie es ja viele Hotels in dieser Region mitunter etwas gekünstelt versuchen.