2010/02/16

Weltmeister Im Untergrund...

von paul peschke


"Live-Musik" in S- und U-Bahn hat verschiedene Ausprägungen, und ebenso breit gefächert sind die Meinungen dazu. Wobei es schon ein Unterschied ist, ob man über mehrere Stationen ein und denselben wenig melodiösen Akkord zu hören bekommt oder ob man im Vorübergehen die Akkordeon-Adaption eines Mozart-Klassikers oder eines Beatles-Songs aufschnappt. So, wie es mir oft auf der U2 geht: Ob am Alex oder im U-Bf. Stadtmitte, da, wo der Mäusetunnel die Bahnsteige von U2 und U6 miteinander verbindet.


Sofern die Ohren nicht mit eigener Musik verstöpselt sind kann man hier den Ohrwurm für die nächsten engen Minuten im Berliner Untergrund erhaschen. Recht oft haben sich vor den kühlen Kacheln der U-Bahnhöfe Musiker meist osteuropäischer Herkunft platziert, die ihr Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes beherrschen. Ein, zwei davon spielen auf Akkordeons, die den nicht gerade von Understatement geprägten Markennamen „Weltmeister“ tragen. Da kommen dann bei mir einem gewissen Stolz Heimatgefühle auf, denn diese Handzuginstrumente haben ihre Wurzeln ebenso wie ich im Vogtland, genauer gesagt in Klingenthal, im Musikwinkel. Um 1850 begann hier die Produktion von Akkordeons, schon bald waren die Täler an der tschechischen Grenze eines der bedeutendsten Zentren der Akkordeonproduktion weltweit. Einige Fabrikantenvillen zeugen bis heute vom damaligen Wohlstand.
Diese Weltmeister-Akkordeons sind ein Produkt der Firma „Harmona“, der „ältesten Akkordeonmanufaktur der Welt“, wie es auf deren Homepage heißt. Sie ist einer der wenigen Klingenthaler Hersteller von „Quetschkommoden“, der bis heute überlebt hat auf diesem durchaus hart umkämpften Markt. Um die 50 große und kleine Firmen gab es zeitweise, mit mehreren Tausend Mitarbeitern und so herrlich nach den Fünfzigerjahren klingenden Markennamen wie Vermona und Goldon. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vorwiegend der osteuropäische Markt bedient, weswegen so manches Weltmeister-Akkordeon heute auch seinen Weg auf Berliner U-Bahnhöfe findet.


Auf großen Bühnen sind Handzuginstrumente aus dem Vogtland ebenso Zuhause, für die besten Künstler gibt es in Klingenthal jährlich einen renommierten Wettbewerb In diesem Jahr erstmals auch mit Kategorien für das Bandoneon, welches untrennbar mit dem Tango verbunden ist.
Nur ein paar Loipenkilometer von Klingenthal entfernt, in Carlsfeld (das ist schon im Erzgebirge!) wurden bis 1945 mehrere Zehntausend Bandoneons hergestellt und damit ein Großteil des lateinamerikanischen Marktes bedient.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Carlsfeld, wo nebenbei bemerkt das kleine ältere Vorbild für die bekannte Dresdner Frauenkirche steht, zurück nach Berlin-Alexanderplatz zu kommen ist schon ein abenteuerliches Unterfangen, welches in punkto Planung und Vorbereitung an eine Weltreise grenzt – aber das ist wieder eine andere Geschichte.