2010/01/19

Hurtigruten...

ein reisebericht von paul peschke


Schiffsreisen haben heute ja viele Facetten: Von der daueranimiert-hyperaktiven Clubschifftour über die Brit-Chic-Atlantiküberquerung bis hin zum fernseherprobten Kreuzfahrtdampfer mit Tanztee und Dinner-Jacket-Empfehlung. Und dann gibt es noch Fährverbindungen, die inzwischen mehr und mehr Anleihen bei all diesen Konzepten nehmen.
Eine spezielle Mischung aber sind die „Hurtigruten“, 1893 als „schnelle Route“ entlang der norwegischen Küste vor allem für den Posttransport eingerichtet. Und, nein, eine Fahrt mit den so genannten Postschiffen ist nicht nur etwas für rüstige Senioren, die das Angebot aus der Fernsehzeitung gebucht haben. Außerhalb der Hochsaison zur Mitternachtssonne gibt es wohl kaum eine Reisevariante, die einen hier näher an Land und Leute bringt: tief eingeschnittene Fjorde, alpine Küstenszenerien, malerische Inselchen, einsame Dörfer, kleine Großstädte, raue See, mitunter eine Walflosse, die im Wasser verschwindet. Ich kam mit englischen Landschaftsfotographen ebenso ins Gespräch wie mit überaus lustigen norwegischen Schülern auf Abschlussfahrt. Traf Backpacker, die zwischen zwei Häfen auf einer Couch im Aussichtssalon übernachten. Und ich begegnete der schwangeren Frau, die kurz vor Mitternacht in einem Dorf hinter dem Polarkreis zustieg, um am nächsten Morgen noch rechtzeitig die Kleinstadt mit der Klinik zu erreichen.
Auf den gut 2800 Kilometern (das ist mehr als von Oslo nach Rom!) sind elf Schiffe verschiedener Generationen unterwegs: von Bergen über Trondheim und Tromsø nach Kirkenes kurz vor dem, sagen wir, gefühlten Ende der Welt nahe der russischen Grenze. Täglich, das ganze Jahr, nach festem Fahrplan – und meist verblüffend pünktlich. Elf Tage dauert eine Rundtour hin und zurück, die erfrischende Polarkreistaufe durch Neptun persönlich (mit Eiswasser und Urkunde!) auf der Nordtour inklusive.
Ein merkwürdig ergreifender Moment ist es dann auch, wenn sich ein nord- und ein südgehendes Schiff begegnen – „fahrplanmäßig“, abends, bei stürmischer See irgendwo im Nordmeer: Flatterndes Bettlakenwinken der Crews, Schneeflöckchen auf der Nase, das zuversichtliche Grüßen der Schiffstyphone.



Ein Moment, in dem man sich ziemlich klein vorkommen kann. Mitunter, wenn diese allabendliche Begegnung bei einem, nun, fürchterlich unwirtlichen Wetter stattfindet, kam mir dazu die Frage in den Sinn: Was tue ich mir hier eigentlich an? Doch eben solche Gänsehauterlebnisse machen den Reiz von Hurtigruten aus. Auch wenn – abgestimmt auf die kurzen Liegezeiten - mittlerweile eine große Auswahl interessanter Landausflüge angeboten wird, die zunehmend auch auf jüngeres Publikum zugeschnitten sind (Hundeschlittenfahrten!, Schneescooter!): Hier handelt es sich im Kern nicht um ein durchgestyltes Produkt eines vielköpfigen Touristikexpertenteams. Es sind die einfachen Zutaten der großen Tradition dieser Linie als verlässliches Beförderungsmittel, die herbe Natur und die Freundlichkeit der im Grunde vollständig norwegischen Besatzung, die hier Authentizität vermitteln. Da wird das Abendessen schon mal vorverlegt, weil der Fahrplan halbwegs eingehalten werden muss und die nächste Passage turbulent wird. Da habe ich mich mitten in der Nacht wecken lassen, wenn es bei klarem Himmel das unvergleichliche Nordlicht gab.

Hier braucht es keine Animation und kein Dinner-Jacket.

Allen Schiffen gemein sind neben dem schwarzen Schornstein mit dem roten Signet und der norwegischen Flagge am Heck die Stückgut-Ladeflächen: mit Platz für Kohlköpfe, Toilettenpapier, Bodenfliesen, Blumenerde – kurzum alles, was man zum Leben auf einer entlegenen Lofoteninsel braucht und keine allzu große Eile beim Transport hat. Die neuen Schiffe nehmen auch Autos mit – wie eine Fähre oder auf der Gesamtstrecke für die, die vom Nordkap auf der Straße zurück wollen. Und auf den oberen Decks gibt es auch komfortable Suiten, gut geheizte Panorama-Salons mit unheimlich bequemen Sesseln und eine Sauna – immer mit Blick auf die atemberaubend schöne Küste, die hier zusammen mit dem faszinierenden Spiel des winterlichen Nordlichts oder den stimmungsvollen Sonnenuntergängen im Herbst das Fernsehprogramm ist. Dagegen geradezu spartanisch sind die robusten Oldtimer: MS Lofoten zum Beispiel, 1964 gebaut, immer noch tapfer im traditionsreichen Liniendienst, mit nostalgisch-hölzernem Interieur, Eisbärenfell im Treppenhaus, Dusche/WC auf dem Gang. Dazu eine entspannte und ganz herzliche Besatzung sowie viel feiner frischer Fisch in dem wunderbar gemütlichen Speisesaal, in dem die Stühle gegen mitunter aufkommenden Seegang festgekettet sind und gegen dessen Fenster auch schon mal ein wenig Meerwasser schwappt. Hier braucht es keine Animation und kein Dinner-Jacket. Nur viele Speicherchips oder Filme.


Von Deutschland empfiehlt sich eine Buchung über www.hurtigruten.de. Ebenso wie andere Anbieter für Reisen nach Nordeuropa offeriert die deutsche Hurtigruten-Vertretung zahlreiche Variationen bei der Anreise, etwa mit (Direkt-)Flug nach/ab Bergen und nach/ab Kirkenes (mit Umsteigen in Oslo). Durch den fahrplanmäßigen Betrieb mit täglichen Abfahrten ist man hier bei individueller Buchung nicht auf konkrete Terminvorgaben festgelegt. „Anfänger“ sollten jedoch bei der Wahl des Abfahrtstages darauf achten, um welches Schiff es sich handelt: die traditionellen Schiffe vermitteln das ursprünglichste Postschifferlebnis, erfordern jedoch mitunter eine gewisse „Seetüchtigkeit“ des Reisenden. Die neuere Generation zeichnet sich dagegen durch ein deutliches Mehr an Komfort aus – die Fahrtstrecke und angelaufene Häfen sind in jedem Fall gleich. Von Hurtigruten selbst angeboten werden zudem Gruppen- und Themenreisen (Nordlicht, Wale), teils mit organisierten Transfers.
Lohnenswert und eine gute Einstimmung ist die Anreise mit der Fähre ab Kiel nach Oslo (www.colorline.de) und einige Tage später weiter mit der Bergenbahn (buchbar über Hurtigruten). Die siebenstündige Bahnreise führt von Seehöhe auf Seehöhe über das Hochplateau der Hardangervidda (Bf. Finse, 1.222 m) – bis in den späten März hinein ein geradezu arktisches Erlebnis. Oslo wird mittlerweile auch von mehreren günstigen Fluglinien bedient.
Von und nach jedem der 34 Häfen ist natürlich auch das Buchen von Teilstrecken möglich. Prinzipiell kann man daher ebenso einfach zur Abfahrtszeit am Kai auftauchen und sich eine Passage und – sofern noch verfügbar – eine Kabine dazu buchen.
Die Preise richten sich stark nach Saison, Kabinentyp und Dauer der Reise. So beginnen die Touren bei um die 500,- Euro ohne Anreise bis hin zu mehreren Tausend Euro in einer Suite auf einem der neueren Schiffe. Auf www.velgogseil.no (nur in Norwegisch) ist neuerdings die kurzfristige Buchung von Restplätzen zu günstigeren Preisen möglich.