2012/02/15

Unsichtbar...


Gerade jagen sich die Events wieder gegenseitig. Während in Berlin die roten Teppiche für die Berlinale stündlich von neuen schönen Frauen in schönen Kleidern betreten werden, schlittern in Hollywood die Stars der Musikbranche auf die Grammy-Bühnen und eigentlich warten alle wieder auf die Oscar's.  Die Männer tragen Smoking und treten optisch in den Hintergrund, lassen die schönsten Frauen noch schöner strahlen. Aus der Fülle an Bildern werden die Damen herausgesucht, die am hellsten leuchten und auf ein Podest gestellt. Alle anderen sehen wir nicht und es kommt die nicht ganz unberechtigte Frage auf, um die es im nachfolgenden Text gehen soll: Stehen wir* auf Überfrauen? 
Gestern Abend habe ich beim Opening des Armani Stores eine interessante junge Dame kennengelernt. Wir haben uns erst ein bisschen über Armani unterhalten, dann über andere Sachen und schließlich wieder über Kleider auf den roten Teppichen dieser Welt. Ich habe wohl gesagt, dass mich Frauenmode nur interessiert, wenn sie die Trägerin überhöht und eben zur Überfrau macht, mir aber das Triviale eigentlich egal ist. Mit einem kurzen Satz brachte sie auf den Punkt, was mir bis dahin nie aufgefallen ist: Wir, die schwulen Männer (*), sehen Frauen nicht. Wir sehen Fassaden, Masken und Glanz, aber eben nicht das dahinter. Wir lieben Stars solange sie Perfektion verkörpern, sobald dieses Kartenhaus zusammenbricht, wenden wir uns der nächsten 'Göttin' zu. Es ist diese Art Liebesentzug, von der Mathias Döpfner in seinem Nachruf auf Whitney Houston spricht. Und dabei ist weder schwul, noch erwartet man so viel Weisheit von jemanden im Hause Springer.
Vor wenigen Tagen starb in ihrem Hotelzimmer in Los Angeles Whitney Houston. Das ist hinlänglich bekannt, schließlich gab es kaum einen Nachrichtensender der nicht berichtete. Gestorben ist sie wohl an Medikamenten, welche das genau waren werden wir sicherlich noch erfahren. Es sind ja eh immer die Drogen, die an allem Schuld sind. Doch eigentlich, und das wissen wir alle, dienen sie nur als Ersatz und sollen die Süchtigen über etwas anderes hinwegtäuschen: fehlende Liebe und Bewunderung. Mathias Döffner hat einen der bewegendsten und treffensten Nachrufe auf die Sängerin geschrieben und genau das auf den Punkt gebracht: "Man sah auf der Bühne einen Menschen zerbrechen." Er bezieht sich auf ein Konzert, welches Houston 2010 in Berlin gegeben hat und welches noch immer herangezogen wird, wenn es darum geht zu belegen, wie sichtbar fertig die Sängerin zu dem Zeitpunkt schon war. Im Grunde ging das aber schon in den letzten zehn Jahren so. Immer wieder wurde Whitney Houston vorgeführt, um zu zeigen wie wenig von der einst strahlenden Diva übrig geblieben ist. Die Medien brauchen diese Bilder, sie leben davon. Vor allem ist es das Ziel der Yellow Press die Stars von dem Podesten zu stürzen, auf die vorher hinauf gehievt wurden. Whitney Houston ist nicht die Erste, und sie wird auch nicht die Letzte sein. 
Im letzten Jahr wurde auch der Tod von Amy Winehouse beklagt, sie starb ähnlich tragisch. Und kurz zuvor gingen Bilder um die Welt, wie sie betrunken und neben sich in Zagreb halb von der Bühne stürzte und das Konzert daraufhin abgebrochen wurde. Winehouse wurde wegen ihrer Stimme bewundert, ihre Looks und die Bienenkorb-Frisur wurden sogar von Chanel kopiert. Sie wurde erst vergöttert und alle schmolzen dahin bei 'Back to Black', dann fallengelassen und verlacht. Oder es wurde einfach weggeschaut, schließlich will ja niemand dieses Elend ertragen. Es war die Whitney-Nummer im Zeitraffer, eine Lehrstück in Sachen Starkult und Selbstzerstörung. 
Mit Ruhm umzugehen ist keine leichte Aufgabe, ein solches Leben fordert in jeder Hinsicht viel ein. Es ist alles ein Spiel, dessen Regeln nur wenige kennen. Und noch weniger wissen diese Regeln für sich zu nutzen und sich zu eigen zu machen. Klar wird Madonna gerne dafür verurteilt, dass sie mit über 50 noch über die Bühne turnt, an vielen Stellen gestrafft ist und kein Foto unbearbeitet bleibt. Aber nur so ist die Fassade aufrecht zu erhalten und die Liebe der Fans zu bewahren. Gerade je schwuler ein Publikum ist, desto härter ist die Arbeit an sich selbst. Niemand ist untreuer und sprunghafter, und nur an Perfektion interessiert. Eine Rihanna hat es da besser. Sie ist breiter aufgestellt, wird von heterosexuellen Männern geil gefunden und taucht in deren Phantasie auf, wird von jungen Frauen imitiert und auch die Schwulen mögen sie. Doch sie ist eben auch jung, was irgendwann nicht mehr das Fall sein wird. Besser hat es da eine Adele, sie entzieht sich gängigen Idealen und ist trotzdem perfekt und schön. Man liebt ihre Songs und die Stimme, ohne Äusserlichkeiten zu viel Gewicht zu verleihen. 
Ganz unschuldig an dieser Ikoniesierung ist aber auch die von schwulen Designer dominierte Modebranche nicht. Da werden Körperbilder erschaffen, die eher mit Barbies als mit wirklichen Menschen zu tun haben. Schaut man sich Kollektionen an, erkennt man sofort ob diese von einem Mann oder einer Frau gemacht werden. Frauen die für Frauen designen kennen die Bedürfnisse und Anforderungen des Alltags, Männer hingegen erschaffen Traumbilder. Die Überfrau, körperlich perfekt und nicht von dieser Welt, ist Programm. Alles menschliche ist diesen Wesen fremd, oder wird ihnen einfach abgesprochen. 
Im Alltag sind wir so sehr davon geprägt, dass wir die Frauen in unserer Umgebung einfach ausblenden, wenn sie eben nicht perfekt frisiert und geschminkt sind. Wenn gesagt wird, dass schwule Männer Frauen lieben, dann stimmt das nicht. Wir lieben die Idee von einer Frau, ein Ideal. Wir suchen uns Ikonen, ersetzen diese aber auch sobald der Glanz vergeht. Wir lieben leidenschaftlich, aber wir können nicht treu sein.