2011/06/02

Monsieur Boldini, Ein Italiener in Paris...


Mir kam neulich eine Geschichte wieder in den Sinn, die ich im vergangenen Herbst zwar gelesen haben, ihr aber nicht weiter Beachtung schenkte. Jedenfalls ist der Inhalt folgender: in Südfrankreich stirbt eine Dame im Alter von 91 Jahren. Beim durchschauen des Nachlasses fällt auf, dass seit den 1940 Jahren in regelmässigen Abständen Miete für ein Pariser Appartement bezahlt wurde, von dem aber zum einen keiner wußte, dass sie es besitzt, und das sie selbst seit ihrer 'Flucht' vor den herannahenden Nazis nicht mehr betreten hatte. Vorsorglich wurden Kunsthistoriker damit betraut sich der Sache anzunehmen, was sie vorfanden war im wahrsten Sinne des Wortes ein Dornröschenschloss. Die Belle Epoque und ihre Pracht lag umhüllt von einer dünnen Staubschicht vor ihnen ausgebreitet und auch Dornröschen war anwesend.
Olivier Choppin-Janvry, einer der Kunsthistoriker, kam die Rolle des wachküssenden Prinzen zu. Ich kann mir gut vorstellen wie ihm der Atem stockte, als er ein bis dahin unbekanntes Portrait entdeckte das sich als unbekanntes Werk des Italieners Giovani Boldini enpuppte.


1898 malte er das Bild der jungen Schauspielerin und 'Demimondaine' Marthe de Florian. Sie war einer jener Schönheiten, über die ich bereits in meinem Artikel über Diana Vreeland geschrieben habe. Man könnte sie als Kokotte abtun, also als hochbezahlte Geliebte reicher Adliger und Industrieller. Aber sie und ihre Mitstreiterinnen prägten auch das Bild einer Epoche. Sie wurden von Künstlern in Bildern verewigt und prägten die Mode nachhaltig.
Der Aufstieg des Engländers Charles Frederic Worth zum ersten Couturier der Geschichte wäre kaum möglich gewesen ohne diese Kundinnen. Es ist gut vorstellbar, das de Florian eines seiner Modelle trug als sie Boldini Modell saß. Im Bestand des Costume Institute des Metropolitain Museum in New York finden sich mehrere Modelle, die den Stil der Zeit widerspiegeln. Das rosa Seidenkleid mit den goldenen Stickereien ist ein wunderschönes Beispiel für die Kunst von Worth und die Mode der Zeit. Es entstand zur selben Zeit wie das Portrait.



Die Kombination aus Worth'scher Mode und Boldini's pastoser Malerei wirkt auch Jahrzehnte nach dem Ende jener Epoche noch inspirierend. Einer der immer wieder gerne daraus zitierte war John Galliano. Die Couture Kollektion waren beinhalteten Anleihen daraus, sei es in seinen ersten beiden Kollektionen 1997 oder aber 2005, wie oben im Bild.


Boldini's Kunst lag in seinem Talent die Wesenzüge der Portraitierten ganau einzufangen, sie aber gleichzeitig noch überspitzt darzustellen. Seine Damen waren überirdisch schön, grazille Wesen die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Die Herren blickten etwas entrückt in die Welt, nicht jedoch ohne eine Strenge Eleganz.
Als Maler wurde er von den Kollegen bewundert, mit Degas war er sogar befreundet. An Prominenz wurde er aber von den Impressionisten überholt. Die Bohème eines Renoir und Monets Art Licht einzufangen richteteten sich in die Moderne, Bodini zeigte die Bourgeoisie. Er war mehr von den Schönheiten seiner Zeit fasziniert, malte die berühmte Marchesa Luisa Casati genauso wie die Herzogin von Marlborough. Und eben auch seine Muse Marthe de Florian, deren Zuneigung er sich aber mit dem französische Premierminister Georges Clemenceau hat teilen müssen.


Lawrence Alexander Brown oder Count Robert de Montesquiou, Schriftsteller und Kunstmaler, dienen als Stilvorbilder, wenn es darum geht sich Eleganz und Stil zum Vorbild zu nehmen. De Montesquiou war übrigens der Biograf der Grafin Castiglione, einer italienischen Schönheit die nicht nur das Herz von Napoleon III. für sich gewinnen konnte, ihre schönen Beine und Füsse den vielleicht ersten Fussfetischfotgrafien zur Verfügung stellte und eigentlich auch Worth behilflich sein sollte, die Kaiserin Eugénie als Kundin zu gewinnen. Kein sonderlich schlauer Schachzug bei einem Hofball überstrahlte die Mätresse die Kaiserin und diese blieb ihren Schneidern weiterhin. Erst der Fürstin Pauline Metternich, Gattin des östereichischen Gesandten und kaum weniger elegant als die Eugénie gelang das. Der Preis war ein Ballkleid aus 80m Seidentüll.
Gleichzeitig war de Montesquiu selbst Vorbild für Romanfiguren, für den Jean Floressans Des Esseintes in Joris-Karl Huysmans' "À rebours" und für den Baron des Charlus in Marcel Proust's "À la recherche du temps perdu", besser gesagt aus der Teil "Un amour de Swann". Gelesen habe ich keines der beiden Werke, nur die Schlöndorff Verfilmung mit Jeremy Irons als Charles Swann habe ich gesehen. Alain Delon spielte darin den Baron des Charlus.


Ihr merkt, ich schweife ab. Aber ich finde das Thema interessant, die sich ergebenden Verflechtungen genauso, wie die unterschiedlichen Protagonisten. Sie alle prägen das Bild einer Epoche, in der wunderschöne Kurtisanen die Königinnen des Boulevards waren und mit ihrem erlesenen Geschmack die Mode prägten. Die Geschichte von der Wiederentdeckung des verschlossen Appartements läd genauso zum träumen ein, wie die Kleiderträume eines John Galliano oder die Opern eines Guiseppe Verdi. Dessen berühmtestes Portrait malte übrigens Giovani Boldini.


Bild von The Telegraph, Style.com und via Google